Samstag, 28. Juni 2014

Die heutige Lektion: Fatshaming

Im Idealfall sollte Schule ja ein Ort sein, der Wissen und Werte fürs Leben vermittelt. Das klappt leider nicht immer. Warum jetzt  ausgerechnet ein Schulbuchverlag eine seiner Übungen auf Fat Shaming aufbaut, übersteigt mein Verständnis.

Der Raabe Verlag versucht in einem seiner Lehrmittel das Stilmittel der Ironie zu erklären und wie würde das besser funktionieren als mit einem Beispiel, dass nicht nur diverse Klischees gegenüber dicken Menschen bedient, sondern zudem auch die Kinder (das Buch ist für fünfte und sechste Klassen vorgesehen) aktiv dazu auffordert "ironische" Beispiele zu finden Essverhalten und Gewicht/Figur zu kommentieren und abzuwerten.

Hier der Tweet von @Speckgedanken


Ich finde es ebenfalls unglaublich, dass so etwas den Weg in ein Lehrbuch findet. Es besteht anscheinend überhaupt kein Bewusstsein, dass dies problematisch sein oder als beleidigend und diskriminierend aufgefasst werden könnte. Soll das zur Auflockerung des Unterrichts dienen? Oder witzig sein? Werden solche Bücher nicht eigentlich von Pädagogen entwickelt, die dabei zumindest ansatzweise empathisch und feinfühlig agieren (sollten)?

Komplette Ahnungslosigkeit und keinen Willen zu reflektieren beweist das Social Media Team dann mit dem massenhaft verschickten nächsten Tweet. Eine Auseinandersetzung mit der vielfach an sie heran getragenen Kritik fand nicht im Mindesten statt.


Es kommt natürlich nur auf den Kontext an und das Thema ist doch schließlich Ironie und nicht Diskriminierung und etwas das Diskriminierung nicht thematisiert, kann an sich schließlich unmöglich diskriminierend sein! Schön, dass wir das geklärt haben. Vielleicht finden sich ja im Verlagsbestand auch etwas zum Vier-Ohren-Modell, das könnte helfen zu verstehen. Sachebene, Selbstoffenbarung und so. Oder Metaebene? Ich mein ja nur.

Die anderen Beispiele sind auch großartig, oder nicht? Voller Klischees, Sexismus und Abwertungen. Es ist bezeichnend, welche Beispiele hier gewählt werden. Anstatt neutrale Situationen zu finden, wird nur darauf abgezielt vermeintliches Fehlverhalten mittels Ironie abzustrafen. Es wird gezeigt, dass es in Ordnung ist, Kindern die etwas kaputt machen, oder die Lernschwierigkeiten haben mit Ironie zu begegnen. Verständnis zeigen? Wieso denn? Hässlich? Immer drauf! Und dieser dicke Mensch wagt es doch tasächlich etwas zu essen, my irony sense is tingling! (Falls es da zu Missverstädnissen kommt: Natürlich ist es das Ziel der Übung Ironie zu lehren und nicht Empathie, das Problem ergibt sich lediglich aus der Auswahl an Beispielen.)

Auf die darauffolgenden Tweets mehrerer User*innen, die weiter Kritik übten und erklärten warum die Übung problematisch ist, wurde dann auch nicht mehr geantwortet. Dafür wurde (der wenige) Zuspruch favorisiert.



Natürlich ist ein Begriff wie Fat Shaming eine schlimme Sache, die stereotype Darstellung von dicken Menschen dagegen nicht.

Letzlich tragen solche Dinge und deren unbedarfte Verwendung nur dazu bei bei Kindern Vorurteile entstehen zu lassen bzw. diese weiter zu stützen und sie tragen ebenfalls zu einem gesellschaftlichen Klima bei, in dem Menschen solche Meinungen hegen und öffentlich äußern. [TW Dickenhass]


Mit solchen und ähnlichen Aussagen sehen sich dicke Menschen bereits von Kindheit an konfrontiert. Von Seiten der Lehrmittel Diskrimierung mit solcher Unbedarftheit noch Steilvorlagen zu liefern ist grob fahrlässig. Davon dass das Schulsystem generell noch viel zu wenig auf solche Dinge eingeht und Lehrkräfte nicht ausreichend geschult werden um sachgerecht mit Mobbing umzugehen, ganz zu schweigen. 

Ironie erklären kann Raabe allerdings dann letzlich doch, nämlich in Verbindung mit ihrem Blog zum Thema "Inklusion, Heterogenität und Differenzierung".
Ich zitiere: "Eben weil wir wissen, dass Sie mit hohem Qualitätsanspruch unterrichten und dabei auch die Schwächeren nicht vergessen [...] und dass es äußerst aufwendig und anspruchsvoll ist, den eigenen Unterricht stets differenziert umzusetzen. Und weil uns an Bildung ebenso viel liegt wie Ihnen."

Vielleicht sollten sie sich das mal selbst zu Herzen nehmen, könnte helfen.

Ganz deutlich und unironisch zum Abschluss: Es gibt kein Anrecht darauf zu kommentieren wie und was andere Menschen essen, ebenso wenig steht deren Figur/Gewicht zur Debatte. Nicht ironisch, nicht ernsthaft, gar nicht.

Ganz tolle Artikel zum Thema findet ihr auch auf Kathis (@speckgedanken) Blog und auch bei Natalie.