Dieser Satz fällt früher oder später in fast jeder Diskussionen über Kleidung in Größen, die nicht jeder Laden abdeckt oder als Antwort darauf, wie mensch sich einkleiden kann und fair einkaufen möchte, sich aber Fairtrade nicht leisten kann. Wer selbst näht, kennt die Antwort darauf sicher bereits, für alle anderen drösele ich das jetzt mal relativ praxisnah (zur Erinnerung: Ich lerne Modedesign und dabei auch schneidern.) auf.
Zunächst mal: Nein, es ist nicht "total einfach" nähen zu lernen. Nein, es geht nicht mal eben so nebenher. Ein paar schiefe Nähte in Stoff zu bekommen, mag für viele noch kein großes Hindernis sein. Ein fertiges, tragbares Kleidungsstück herzustellen, das aus mehreren Teilen zusammen gesetzt wird, ist allerdings eine ganz andere Sache. Es erfordert Übung, es erfordert das Aneignen von Wissen, das Erlernen verschiedener Techniken. Mitunter braucht es Probestücke und nicht alle Fehler können korrigiert werden, das heißt es passiert durchaus, dass am Ende nur ein hübscher Putzlappen heraus kommt. Nähen frisst Zeit, die muss also erst mal vorhanden sein, neben Arbeit/Familie/alltäglichen Verpflichtungen.
Der Punkt, an dem ich fast schon lachen muss, ist, wenn Menschen erzählen, dass es günstig(er) sei zu nähen. Nichts, aber auch gar nichts am nähen ist günstig. Das lässt sich am besten zeigen, indem eins sich anschaut, was für den Prozess so gebraucht wird.
Grundlage ist eine Nähmaschine. Mein kleines Ikea Maschinchen hat
80€ gekostet. Ich will ein Tshirt aus Stretchstoff (z.B. Jersey) nähen? Geht damit nicht wirklich, ich brauche eine
Overlock-Maschine kostet so
ab 200€ (bis zu 600-700€ für Haushalts(!)geräte, ich habe noch keine, u.a. weil ich sie mir bisher nicht leisten konnte). Schneiderpuppe? Meine (nicht mal größenverstellbar) lag bei
80€, verstellbare die nicht gleich auseinander bzw umfallen kosten auch schnell mal 200€. Stoffschere? Maßband? Stecknadeln? Hatte ich zum Glück schon vorher günstig gekauft,
15€ für ein Nähset von Ikea. Dafür ist die Schere aber auch in der Mitte stumpf umd schwergängig. Anderes Modell? Zwischen
15-50€. Taillenmaßband
6€. Brauchte dann leider doch noch andere Stecknadeln, wieder
5€ weg.
Für die Ausbildung brauchten wir zum Üben jede Menge Baumwollstoff, der war günstig, 5€ der Meter, insgesamt
75€, 5m Futterstoff
45€, 5m Vlieseline (zum Verstärken von Revers etc.)
20€. Reißverschlüsse wie wir sie für unsere Übungen und Übungsröcke brauchen? Ab 2,50€ das Stück im Laden (Nahtverdeckte mehr), günstig online ergattert und
9€ für 50 Stück bezahlt, natürlich dafür nicht so hochwertig. Mein Bügeleisen hat nur
3€ gekostet, taugt aber auch nicht viel. Das Bügelbrett war ein Geschenk, Glück gehabt, beides braucht es nämlich auch zum Nähen.
Als Beispiel für einen ganz simplen Rock, den ich für mich nähen wollte: Stoff der mir gefällt, Futter und Gummiband gekauft ->
40€ weg und noch nichts genäht. Wenn ich ein Schnittmuster brauche, kommen da nochmal ca.
10€ drauf. (Download ist billiger erfordert aber Internetzugang, einen Drucker und viel Zeit.) Modische Stoffe mit aktuellen Farben/Mustern sind teuer. Beispiel: Ich wollte mir eine Leggings mit Galaxyprint nähen. Der entsprechende Stoff in meinem Stoffladen kostete 70€ pro Meter, das hatte sich also direkt wieder erledigt. (Und? Schon mal eine popelige Leggings für über 70€ im Laden gesehen?)
Selbst wenn ich für all das jetzt das Geld ausgegeben habe, weiß ich immer noch nicht, wie die Nähmaschine funktioniert, wie der Faden eingefädelt wird, wie ich die obere und untere Fadenspannung einstellen muss, welchen Stich ich brauche, wie ich die Teile zusammen bringe. Ich muss auf den Fadenlauf achten, wenn ich den Stoff mithilfe des Schnitts zurecht schneide. (Auf dem Boden, weil es viel Platz braucht, oder auf einem sehr großen Tisch, den ich auch erst mal brauche und den Platz dazu.)
Übertritt, Untertritt, Kellerfalte, Doppelsteppstich - um diese Begriffe zu kennen und einordnen zu können braucht es einen Nähkurs, oder zumindest entsprechende Bücher, oder Intenetanleitungen, in die ich mich dann erst einlesen muss. Das erfordert alles Zeit, Ressourcen, Internetzugang und natürlich auch Geld.
Für den Anfang ist es einfacher fertige Schnittmuster zu benutzen, die natürlich wieder etwas kosten und was besonders hilfreich ist: Das Größenproblem gibt es hier auch. Der Großteil der Schnitte hört, wie die handelsübliche Konfektionsware, in den 40er Größen auf.
Da ich momentan ja selbst nähen lerne, kann ich sagen, dass es Gold wert ist eine Person zu haben, die dabei ist, Fragen beantworten und Hilfestellungen geben kann. Manchmal sind Fehler eben nicht so offensichtlich und es kostet dann einige Nerven heraus zu finden was falsch lief. Alleine zu Hause wäre ich nie so weit gekommen und dort habe ich auch keine hochwertige Bügelstation mit verschiedenen Hilfmitteln, keine Bügelpresse, keine Industrienähmaschine mit der es sich natürlich viel besser arbeiten lässt als mit meinem Ikea Maschinchen (kostet allerdings auch locker das 20-fache).
Wir hatten übrigens in der ersten Woche ein reines Nähpraktikum, in dem wir nur die Maschinen ausprobiert und verschiedene Nähte und Säume geübt haben, sonst nichts. Weil das ja alles so easy ist.
Eigene Schnitte erstellen? Dazu haben wir ein eigenes Fach, eigentlich sogar zwei. Erfordert einen Schneiderwinkel (
22€) und jede Menge(!) Seidenpapier, dass wir in der Schule bekommen, das im Laden aber natürlich kostet. Schnitte zu erstellen ist eine fummelige Arbeit, die es erfordert mit den entsprechenden Maßen auszurechnen, wie das Kleidungsstück auszusehen hat.
Auf dieses Thema komme ich heute übrigens im Zuge einer Diskussion über bewussten Kosum auf Twitter, mit dem
Aufruf, keine "Billigmode" zu kaufen. Dass dies allerdings nicht für alle einfach so funktioniert haben viele dann klar gestellt. Irgendwann wurde dann vorgeschlagen doch
selbst zu nähen, was in diesem Zusammenhang nicht wirklich Sinn macht.
Nightlibrarian Anna brachte mich dann auf die Idee das alles auch mal finanziell aufzudröseln. Was etwas schwierig ist, da meine Ausbildung ja nicht nur aus Nähunterricht besteht und das somit nicht ganz zu trennen ist. Außerdem kommt noch "Kleinkram" dazu wie Kreidestifte, Boxen für besagten Kleinkram, Garn, Nähnadeln, Knöpfe, Fadenauftrenner etc. pp dazu, den ich wirklich nicht mehr genau benennen kann. Es summiert sich allerdings und ich denke, es wird trozdem klar, dass selber nähen keine generelle und schon gar keine günstige Alternative ist um sich einzukleiden.
Warum es generell nicht so einfach ist "Billigmode" zu boykottieren hat
Puzzlestücke in ihrem Blog sehr gut erklärt.
Edit: Bei Anna findet ihr einen
Schwester-Post über Aufwand/Kosten des Strickens verfasst und dabei auch einen Punkt erwähnt, den ich hier gar nicht bedacht habe, nämlich den Stundenlohn, der beim Handarbeiten anfällt. Außerdem hat sie sich die Mühe gemacht und die Twitter-Diskussion noch ausführlicher wieder gegeben.
Danke auch an
Susanna, die das hier in den Kommentaren ebenfalls angemerkt hat.
teiledesganzen hat sehr schön die einzelnen Arbeitsschritte aufgelistet, es lohnt sich sehr das ebenfalls zu lesen.