Mittwoch, 12. Juni 2013

Nicht so waagemutig

(Entschuldigt, wenn der Text teilweise etwas harsch rüber kommt, ich habe mich etwas in Rage geschrieben und möchte voraus schicken, dass ich keine der Bloggerinnen persönlich angreifen möchte. Es geht mir lediglich um die Aktion. Falls das anders rüber kommt, tut es mir leid!)

Heute Mittag schwappte mir ein Hashtag in meine Twitter-Timeline. Wie das bei einer guten Timeline sein sollte, auch direkt kritisch hinterfragt. Es geht um #waagnis und die (vereinfachte) Idee dahinter ist, dass man seine Waage irgendwo aussetzt, ein Foto macht und sich dann lieber auf sein Körpergefühl verlässt, anstatt sich von Zahlen beeinflussen zu lassen. Genauer kann man das hier nachlesen und hier und hier und auf Twitter natürlich.

Mich hat das Ganze erstmal irritiert. Nachdem ich seit guten 10 Jahren keine Waage mehr besitze und meine persönliche Entwicklung mich schon sehr weit davon entfernt hat, dem Körpergewicht überhaupt eine größere Bedeutung als die der reinen Information bei zu messen, lässt mich dieser "mutige" Schritt eher mit den Schultern zucken. Natürlich finde ich es super, wenn jemand jetzt sagt "So, ich mach den Scheiß nicht mehr mit und klopp das Ding jetzt inne Tonne!" das ist ein guter Anfang, aber eben nicht mehr als das. Viel mehr kann ich der Aktion leider auch nicht abgewinnen.

Ich als dicke Frau fühle mich ein bisschen so, als hätten da Mädels mit anscheinend durchschnittlichem Gewicht und Kleidergröße das Rad neu erfunden und wollen mir nun erzählen, wie das jetzt so funktioniert. In dieser Form schließt es mich allerdings eher aus, als dass es mir hilft. Danke, brauch ich nicht. (Ich brauche übrigens auch keine Küchenwaage für ein gutes Leben, aber wir wollen ja nicht gleich spitzfindig werden.)

Ich ärgere mich sehr, dass nicht ein Wort darüber fällt, dass es schon lange Menschen gibt, die sich mit Body und Fat Acceptance befassen. Dass es Plus Size Blogger gibt, die für ihre Rechte kämpfen. Wir sind schon da und äußern uns! Uns hilft es nur leider herzlich wenig einfach unsere Waagen auszusetzen, noch weniger wenn man uns nicht mal erwähnt.
Mir ist durchaus bewusst, dass dies natürlich alles persönliche Beiträge sind, aber meine Lebenswelt ist nun mal eine andere. So sehr gesellschaftliche Normen für alle gelten, gelten sie umso mehr, je weniger man ihnen entspricht und gerade die werden unter den Teppich gekehrt.

Um mal auf der persönlichen Ebene zu bleiben: Dass es mir nicht hilft, liegt auch an meiner Entwicklung und meinem momentanen Standpunkt. Ich kämpfe seit Jahren mit mir und meiner Umwelt. Mein Verhältnis zu mir selbst lag jahrelang in Scherben, heute noch leider ich darunter dass mein Selbstverständnis gebrochen wurde, ich traue meinem eigenen Urteil und meiner Meinung immer noch nicht völlig. Ich fand meinen Körper immer vollkommen in Ordnung, bis mir eingeredet wurde, dass ich da völlig falsch liege und mich schämen und verstecken müsste. Am besten natürlich abnehmen, vielleicht auch einfach in Luft auflösen. Da wäre ein Punkt anzusetzen. Mach kaputt was dich kaputt macht, nicht "oh, ich höre auf mich zu wiegen".

Natürlich kann das für einen persönlich ein Ansatz sein umzudenken  und sich nicht mehr sklavisch nach den gängigen Schönheitsidealen, Gewichts- und BMI-Vorgaben zu richten, ABER es hilft nicht im täglichen Leben mehr Akzeptanz zu gewinnen. Es baut keine Vorurteile ab, es ändert keine bestehenden Strukturen, die weiterhin vorschreiben wie man auszusehen hat. Es reicht nicht aus um zu einem anderen Körpergefühl zu kommen, vor allem nicht, wenn weiter von allen Seiten Idealbilder und Vorstellungen anderer auf einen einprasseln.


Den Punkt der Essstörungen möchte ich aussparen, ich kenne mich auf dem Gebiet nicht aus, aber auch dieser Punkt wird nicht angesprochen und ich denke "wenig hilfreich" ist eine Untertreibung.

Für mich ist dieses Waagnis bestensfalls nicht zu Ende gedacht, schlimmstenfalls arrogant und exkludierend. Aber vielleicht bringt ja die Diskussion was. Ein bisschen was. Wäre schön.


Edit: 14.6.: 

Noch ein paar absolute Lesetipps von mir:

Naseweis hat sich die Mühe gemacht und hier noch einige Links zu Body/Fat Acceptance und Essstörungen zusammen getragen.

Natalies wie immer perfekt auf den Punkt gebrachte Meinung und Kritik zum/am #waagnis finden sich hier und hier

Und meine Lieblings-Mango hat es hier nochmal so allumfassend auseinander klamüsert, wie ich es niemals könnte.

Ganz toll auf unsere Kritik geht übrigens Ninia ein.

22 Kommentare:

  1. schön das du das direkt aufgreifst, ich mußte auch mit den augen rollen als ich diese propagandistischen twitternachrichten gelesen hab

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  2. Hey, danke für diesen Text. Der wichtigste Gedanke war für mich nochmal immer wieder klar zu machen, dass die Strukturen im Außen dass Problem sind, und nicht wie jede_r einzelne ihren weg darin findet.
    Zu ge-störtem Essen finde ich gerade den Text von kleiner drei sehr sehr problematisch, da so ein total komplexes gestört werden auf ein Schönheitsideal runtergebrochen wird. Auch dort werden all jene unsichtbar gemacht, die versuchen dagegen anzuarbeiten, dass mediale Diskurse so platt wie sie sind genau wieder gegeben werden.
    Nein, nicht sehr wagemutig, eher sehr verkürzt.
    Ebenfalls verärgerte Grüße
    vom Steinmädchen

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  3. Du konntest meine etwas diffusen Gedanken dazu sehr gut in Worte fassen, danke! Ich habe die Artikel heute auch gelesen und mich erstmal persönlich für diejenigen gefreut, die ihre Waage aussetzen. Aber ich hatte dabei auch ein negatives Gefühl, was ich nicht wirklich einordnen konnte, kommt aber deinem Gefühl sehr nahe, also danke für den Artikel!

    Ich meine, ich finde die Aktion nicht schlimm oder schlecht oder ärgere mich darüber. Ich finde sie aber auch nicht übersupergut. Sie ist für mich halt eben...nett. Schön für diejenigen, die es tun und vom Blick auf die Waage wegkommen. Aber eben nicht die Neuerfindung des Rades für die Fat Positive- und Body Acceptance-Bewegung. Wir werden nach wie vor dumm angeschaut, angemacht oder sonstiges Schlimmeres, ein Problem, welches die WaagenaussetzerInnen vielleicht nicht kennen. Nicht, dass Probleme mit dem Selbstbild oder der Selbstakzeptanz schlimmer oder besser wären, aber...wie gesagt, es ist gut, aber nicht übemegasuper.

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  4. Huch, habe ich das richtig verstanden - da werden Waagen nicht entsorgt, sondern quasi "in Umlauf" gebracht, damit sich andere, nämlich die FinderInnen, in Zukunft von ihnen verrückt machen lassen können?! Das ist aber nicht sehr nett... ; )

    LG
    Nicola

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  5. Danke. Du sprichst mir aus der Seele.

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  6. Danke für den Text... Verstehe absolut was du meinst!

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  7. Sehr schöner Artikel.
    Ich habe gestern auch meinen Senf dazu gegeben. Und möchte dazu einfach nichts mehr sagen. Es hat mich gestern wirklich sehr sehr genervt. Mir ist es zu oberflächlich gelöst...aber das ist nur meinen Meinung. Und ganz, ganz wichtig...man muss sehr sensibel mit diesen Themen umgehen! Und es nicht einfach so plump dahin schmeißen und denken es sei nun die Rettung für alle Unter-/Übergewichtigen oder für Menschen die einen Disput mit ihrer Waage haben. Ach Gott wenn ich da schon wieder schreibe regt es mich schon wieder auf.

    Mein Schlusssatz:
    Solang es nur einem Menschen geholfen hat aus einer Essstörung raus zu kommen, war es das wert. Alles weitere heiße ich aber nicht gut.

    Schönen sonnigen Donnerstag
    Bine

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  8. Ich glaube, eins der generellen Probleme von Body Acceptance im Gegensatz zu Fat Acceptance ist, dass ersteres eigentlich ein inklusiveres Engagement erwirken sollte, aber eher noch zu der Exklusivität beiträgt - wenn Models wie Tyra Banks Bilder bei instagram posten wo steht "You are what you eat. I am pizza." wird darüber geschmunzelt und sehr positiv reagiert. (a la "Nicht alle Models haben eine Essstörung!") Wenn das jetzt aber ein fetter Mensch postet ist der Aufschrei groß.
    Es war schon immer so und wird sich in nächster Zeit leider auch nicht ändern, dass Minderheiten etwas beginnen was dann (ohne jegliche Reflektion) von den breiten Massen, angepasst und teilweise verfälscht, aufgegriffen wird.
    "Love your body" ist halt sehr trendy im Moment und bringt vielleicht auch die dünn-privilegierten Mode-Blogger zum nachdenken über Schönheitsideale. Persönlich muss ich sagen, dass es mich schon glücklich macht, wenn schlanke Freundinnen ihr Privileg erkennen und damit sensibler umgehen. Wenn solche Aktionen wie #waagnis dabei helfen, stört mich das auch nicht ganz sooo sehr ;)

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    1. Absolut! Wenn auch nur ein paar Leute dadurch zum Nachdenken gebracht werden und sich besser fühlen, hat sich die Aktion gelohnt. Nur Kritk sollte man trotzdem üben, wo sie angebracht ist, das macht die Sache nur besser. :)

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    2. Ich wollte deine Kritik auch nicht kritisieren, nur ergänzen - ist jetzt vielleicht etwas holperig rüber gekommen ;)

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    3. So meinte ich das gar nicht, das war mehr eine generelle Feststellung. ^^

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  9. Großartiger Artikel! Der sollte eine viel größere Reichweite haben, damit das mal in die Welt hinausgeschrien wird! :-)

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  10. Ich habe das gar nicht mitbekommen, aber es wundert mich auch. Ich habe seit ich (vor 3 Jahren) von daheim ausgezogen bin keine Waage zuhause, weil ich einfach keine gekauft hab... weder mein Freund noch ich haben sie je vermisst.

    Das war gar keine bewusste Entscheidung, ich wusste nicht, dass das so besonders ist! Aber wenn so ein paar Frauen mehr vom Waageterror wegkommen, der anscheinend herrscht, dann ist das doch gut. Vielleicht wussten die Mädls gar nicht, dass es schon eine so große Fat Acceptance Bewegung gibt, das bekommt doch nicht jeder mit! Vor allem weil sie, wie du ja auch sagst, ziemlich durchschnittliche Figuren haben.

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  11. Weil ja "durchschnittliche" Frauen auch niemals nie nicht angefeindet werden oder eingeflüstert bekommen, sie seien ungenügend...

    Was nimmt es eurer Position denn weg, wenn sich Leute von dieser Seite aus mit dem Thema befassen? Und euch vielleicht nicht explizit erwähnen? Anstatt zu sagen, "Ich finde es gut, dass ihr euren eigenen Weg geht", wird erst einmal direkt darauf herumgehackt.

    Im Ernst, das ist schon ziemlich traurig.

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    1. Es war nicht von mir beabsichtig zu sagen, dass "durschschnittliche" Frauen nicht unter diesem Druck stünden. Eigentlich habe ich sogar geschrieben, dass dies bei allen der Fall ist, nur eben stärker je weiter weg man vom Ideal ist.

      Es nimmt uns nichts weg, es macht uns unsichtbar und übergeht uns einfach. Ich wollte nicht sagen, dass niemand diesen Weg gehen sollte, es mag im Einzelfall tatsächlich funktionieren, bzw. ein Anfang sein, aber damit umgeht man das eigentliche Problem und das ist nicht die Selbstwahrnehmung, sondern die Außenwelt, die uns das vorgibt und sanktioniert, wo man davon abweicht.

      Kritik ist nicht dasselbe wie auf etwas herum zu hacken. Das war weder meine Intention, noch finde ich, dass mein Text so rüber kommt. Schade, wenn das bei dir so angekommen ist.

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    2. ich muss sagen, dass ich deinen beitrag genau so wie diandra empfunden habe.
      und ich denke, dass jeder mal einen anfang machen muss. manche fetten machen vllt auch wegen der aktion nochmal einen anfang in die "richtige" richtung.
      es ist ebenso ein ansatz in die richtung von aktiveren fat acceptance vorkämpfer/innen.
      und soviele menschen fangen täglich auch erst mit irgendetwas an, dass es in meinen augen völlig in ordnung ist.
      denn ich denke, wenn man über waagnis anfängt, dann wird man im internet auch ganz schnell auf viel mehr stoßen.

      nur weil wir "größer" sind heißt das nicht unbedingt, dass unser problem der inakzeptanz soviel größer ist, als wir vielleicht denken.

      ich hab mich auch schon mit mädels unterhalten, die vllt nur speckig, aber nicht fett oder auch nur dick waren und die müssen sich genau so täglich bissige kommentar oder sogar beleidigungen anhören. + den täglichen sexismus.
      ich war selbst ehrlich überrascht davon.

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  12. Noch ein Plädoyer für 'Waage-Acceptance' : Erstmal klingt so ein Aufruf, die Waage auszusetzen, vielleicht verlockend, andererseits hat es aber ähnlich terrorisierende Anteile wie die 43. unterschwellige Diätaufforderung - in beiden Fällen wird suggeriert "Mit dir ist etwas nicht in Ordnung" - "du bist zu ..." oder "wie - du wiegst dich noch?" ... Mein persönlicher Wunsch daher: Die unglaubliche Vielfalt der Seins-Möglichkeiten zu LASSEN - im besten Sinne.

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  13. Ein bisschen sehr Out of Topic, sorry. Aber ich wollte es Dich wissen lassen: Ich hab Dir einen Award zukommen lassen :) den findest du hier:

    http://katnissdean.wordpress.com/2013/06/16/385/ Wenn du Lust hast, würd ich mich freuen, wenn Du mitmachst ;)

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  14. Das Ganze ist ein gutes Beispiel dafür, wie Ignoranz auch ohne Absicht (oder eben in einer eigentlich gegenteilig guten) transportiert werden kann. Das Thema an sich (Waage aussetzen) tangiert mich nun auch nicht, weil ich, obgleich schon ein paar Jährchen über 30, noch nie eine eigene Waage besessen habe. Dass mich das Thema Gewicht deswegen nicht umtreibt, stimmt freilich nicht. Ich hangel mit eben an Kleidergrößen lang (genauso doof;)).

    Ich hab nun überlegt, ob es etwas ändert, das Instrument (Waage, in meinem Fall wohl die Schildchen mit der Kleidergröße) zu entfernen. Es kann sicher ein Anfang sein, ein Signal, das man an sich selber schickt. Von dort beginnt der Weg ja aber erst. Dann muss ich mich fragen, woher mein Ideal beim Thema Körper kommt. Aus meinem Schönheitsempfinden oder aus dem der "Gesellschaft"? Fühle ich mich wirklich besser, wenn ich schlank bin oder genieße ich nur die stärkere Akzeptanz? Was ist mit meiner Wertschätzung für mich selbst - ganz unabhängig von Kilos, Maßen, Größen? Schwer genug, sich damit ehrlich auseinanderzusetzen. Man glaubt nicht, wie gut man sich auch selber belügen kann...
    Tja, die Sache mit der Waage als eine mögliche Art und Weise, mit einer ehrlichen Auseiandersetzung anzufangen, finde ich gut. Von daher hat die Debatte dann doch wieder ihre Berechtigung.
    Schlecht finde ich (nur so nebenbei) wenn überlegt wird, wer denn nun "dick genug" ist, um sich zum Thema zu äußern. Ich denke, das bringt wenig außer dem wechselseitigen Gefühl des Ausgeschlossenseins.

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  15. Ich habe ein Problem damit, dass hier das Problem einer Gruppe kleingeredet und negiert wird.
    Offensichtlich leiden die Waagnis-Teilnehmerinnen unter einem Problem, nämlich dem Druck, einem körperlichen Ideal zu entsprechen, dem sie aber nicht entsprechen können. Darum offenbar die Idee, mal die Waage wegzustellen und sich eine kurze kleine Reflexionspause zu gönnen, wie man denn anders leben könnte.

    Und jetzt kriegen sie von allen Seiten Haue, mehr oder weniger, weil sie nicht dick genug sind, um wirklich ernsthaft zu leiden. Als wäre ihr Problem ein Luxusproblem ohne Existenzberechtigung.

    Gerade aus dem feminstischen Eck darf doch so eine Argumentation nicht kommen - die ist für mich gefährlich nahe an "Hab dich nicht so, anderen geht es noch viel schlechter, stell dich nicht so an." Wie man das ja als Frau gerade von Männerseite immer wieder hört - "Kinderbetreuung, Haushalt, gläserne Decke...hab dich mal nicht so, in Indien bauen dafür die Frauen Straßen mit den bloßen Händen, wenn sie die vorgeburtliche Selektion überhaupt überleben!"

    Die Frauen von Waagnis haben ein Problem mit ihrer Situation und es besteht ein Leidensdruck. Es ist ihr gutes Recht, etwas zu unternehmen, und es ist nicht erstmal unsere Aufgabe, ihr Problem kleinzureden, weil es nicht würdig und groß genug für unseren Geschmack ist. Im Gegenteil, wie wär's mit einem Hauch weiblicher Solidarität?

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